Dienstag, 8. Februar 2011

Frau, Mann, Asperger?

Autismusforscher Simon Baron-Cohen vertritt die These, das Es drei Arten von Gehirnen gibt: Empathisch, Neutral und Systemisch. Das empathische Gehirn finde sich vor allem bei Frauen, das Systemische bei Männern. Und Asperger- und von schwererem Autismus betroffene hätten im Prinzip “Ultimativ männliche Gehirne”

In einem Interview des Spiegels wurde der Baron-Cohen gefragt:

SPIEGEL: Professor Baron-Cohen, Sie behaupten, technischer Sachverstand sei typisch fürs männliche Gehirn. Doch gestern hat uns ein weiblicher Flugkapitän von Hamburg nach England geflogen. Wie konnte das gut gehen?

Baron-Cohen: Ich sage nur: Frauen sind in der Regel eher an Gefühlen interessiert. Männer dagegen zeigen mehr Interesse an Systemen. Eine Frau fragt: "Wie fühlt sich das an?" Ein Mann fragt: "Wie funktioniert das?" Ausnahmen sind möglich, aber statistisch gesehen sind Frauen mit Talent zum Fliegen nun mal seltener als Männer

Ich frage mich nur. Wie kommen sowohl der Interviewpartner wie auch Baron-Cohen zum Schluss, eine Neigung zum Systematisieren würde eine besondere Begabung zum Fliegen beinhalten?

Schaut man sich Baron-Cohens Forschung genauer an, ist er erstaunlich generalisierend. Eigentlich werden Systemischer Quotient und Empathischer Quotient getrennt erfasst. Das eine ist nicht das Gegenteil des anderen. Man kann also eine ausgeprägte Empathie nicht einfach einem ausgeprägtem systemischen Verhalten entgegensetzen. Während sich unter Empathie eigentlich jeder etwas vorstellen kann, muss das systemische Prinzip erst mal erklärt werden:

Eine Person mit starker Neigung zu systemischem Handeln wird
- Systeme(*) analysieren, um ihre Funktionsweise zu verstehen
- Alles Kategorisieren
- Sich extrem an Ausnahmen stören. (Insbesondere bei Asperger-Zügen)

(*) System; Wikipedia erklärt kurz den Begriff:
Systeme organisieren und erhalten sich durch Strukturen. Struktur bezeichnet das Muster (Form) der Systemelemente und ihrer Beziehungsgeflechte, durch die ein System entsteht, funktioniert und sich erhält

Beim Analysieren dieser Strukturen und Beziehungsgeflechte (Relationen) versucht der Systemiker alles auf möglichst einfache Regelwerke herunter zu brechen.

Weiter schreibt Wikipedia:

2. Ein System in diesem Sinn lässt sich durch die Definition zweckmäßiger Systemgrenzen von seiner Umwelt (den übrigen Systemen) weitgehend abgrenzen, um es modellhaft isoliert beobachten und das Geschehen reflektieren zu können. Diese (vorübergehende) Einschränkung ist zweckmäßig, weil das menschliche Bewusstsein in seiner Auffassungsgabe systemischer Abläufe begrenzt ist.”

Dieser Punk Zwei ist enorm wichtig, um zu verstehen, wo systemisches Denken an seine Grenzen stösst. Der Lebensberater Mark Gungor fasst es in seinem Vortrag “Tale of Two Brains” zusammen.
”Mans brains are made of litte boxes. And we have a box for everything. We got a box for the car, we got a box for the money, we got a box for the job, we got a box for you, we got a box for the kids, we got a box for your mother, somewhere in the basement. We got boxes everywhere. And the rule is, the boxes don’t touch.

When a man discusses a particular subject, we go to that paricular box, we pull that box out, we open the box, we discuss only what is in that box, alright? And then we close the box, and put it away, being very, very carefull not to touch any other boxes.”

Die Gehirne von Männern sind aus kleine Kästchen gemacht. Und wir haben eine Kästchen für alles. Wir haben ein Kästchen für das Auto, wir haben ein Kästchen fürs Geld, wir haben ein Kästchen für die Arbeit, wir haben ein Kästchen für dich, wir haben ein Kästchen für die Kinder, wir haben ein Kästchen für deine Mutter, irgendwo im Keller. Wir haben überall Kästchen. Und die Regel ist: Die Kästchen berühren sich nicht.

Wenn ein Mann über ein bestimmtes Thema diskutiert, gehen wir zu jenem speziellen Kästchen, wir ziehen dieses Kästchen heraus, wir diskutieren nur darüber was in die diesem Kästchen ist, klar? Und dann schliessen wir das Kästchen, und legen es weg, dabei sehr, sehr vorsichtig, kein anderes Kästchen zu berühren.

Jedes dieser Kästchen ist ein abgegrenztes, isoliertes System. Das Thema Staatsverschuldung ist in einem anderen Kästchen (z.B. Politik) gespeichert als Zinseszins (z.B. Geld).
Der Zinseszins wird z.B. Positiv gesetzt: “Ich bekomme für mein Geld auf der Bank Zins und Zinseszins.” und der Bezug über die volkswirtschaflichen Zusammenhänge von Zinseszins auf das dadurch inhärente Problem “Staatsverschuldung” wird nicht erkannt. Statt dessen fordert man den Staat auf, doch zu sparen. Sucht Schuldige an den hohen Ausgaben und findet sie je nach politischer Wahlheimat. Man bleibt im Kästchen Politik.

Die angebliche Neigung zu Technik entstammt dem Wunsch, abgeschlossene Systeme zu haben, zum Beispiel ein Radio, und dann dessen Funktionsweise zu ergründen.

Nur, was hat das mit der Fähigkeit ein Flugzeug zu Pilotieren zu tun?

Asperger gleich Ultramännlich?

Das Problem der Abgrenzung und Vereinfachung demonstriert nun Baron-Cohen selbst, wenn er bei Asperger vom ultramännlichen Gehirn im Sinne des SQ (Systemizing Quotient) spricht. Seine eigenen Daten geben das nämlich gar nicht her. Hier ein interessantes Schaubild:

scores
Dabei ist gut zu erkennen, dass Asperger zwar im Schnitt einen hohen SQ haben, aber doch sehr viele im von Frauen und Männern geteilten Mittelfeld liegen. Insgesamt ist die Streuung recht hoch. Entscheident für Asperger ist offensichtlich der niedrigere EQ (Empathic Quotient), ein hoher SQ eher ein Nebeneffekt der mal stärker, mal schwächer Auftritt.

Nicht nur das, es zeigt auch, dass EQ und SQ sich nicht wirklich zwei Enden einer Skala sind, sondern nur statistisch gehäuft gegenläufig vorkommen. Des weiteren zeigt sich, dass ein enorm grosser Teil von Frauen und Männern sich ein Zentrum Teilen. In diesem Zentrum liegt mindestens die Hälfte. Viel zu wenig um pauschal sagen zu können, man hätte hier einen deutlichen Trenner zwischen den Geschlechtern gefunden.

Ironischerweise wird das Geschlecht der Asperger-Betroffenen nicht weiter angegeben. Was leicht die Tatsache verbirgt, dass es auch viele Frauen mit Asperger gibt. Wenn die nun angeblich so ultramaskulin sind, sind die dann alle Transsexuell? Nicht im geringsten. Im Gegenteil, unter transsexuellen Frauen gibt es sogar ein erhöhtes Vorkommen von Asperger-Betroffenen.

Baron-Cohen hat nicht die Lösung auf die Frage des Gehirngeschlechts gefunden, sondern nur zwei Aspekte davon, deren Schnitt zwar abweicht, aber bei weitem nicht Aussagekräftig genug ist, um Frauen und Männer daran aufzuteilen.

Weiter zu: Baron-Cohens zweiter Fehler